Phase I

FEUERVOGEL
1974-1976

 

Ort
Im Bauerndörfchen Sottens im französisch-sprachigen Schweizer Kanton Waadt

Themenkreis
Anlehnung an den Fantastischen Realismus

Mischtechniken
Farbstift, Filzstift, Tusche auf Leinwand und Papier, Ölkreide,
Acryl, Linolschnitt, Holzschnitt

 

Mein Elternhaus in Näfels brennt nieder
Am 7. Februar 1974, an meinem Geburtstag, ruft mich mein jüngerer Bruder Rolf an und teilt mir mit, dass an diesem Morgen unser Elternhaus, unsere Möbelschreinerei sowie das neue Möbelgeschäft innerhalb von zwei Stunden bis auf den Grund niedergebrannt sind.

Die Eltern hätten sich nur in Pantoffeln und mit dem Morgenrock bekleidet aus dem Haus gerettet und dem lodernden Feuer, den zusammenbrechenden Gebäuden und der Feuerwehr zugeschaut, völlig verstört und geschockt, als ob sie in einem grauenvollen Traum wären.

Nachdem das Feuer gelöscht war und aus den schwarzen Skelettteilen auf dem Boden nur noch etwas Rauch himmelwärts stieg, sei das ganze Dorf zur Hilfe geeilt. Die Leute hätten Geschirr, Bettwäsche und andere  Haushaltgegenstände mitgebracht, damit sich die Eltern in einer Übergangswohnung notdürftig einrichten konnten. Angebrannte Briefe und andere Dokumente, von der Feuersbrunst überall hingeschleudert, hätten die Leute meinen Eltern zurückgebracht.

Damit ist ihr Lebenswerk innerhalb von zwei Stunden zu Asche geworden; das Haus voller Gegenstände und Erinnerungen an unsere Kindheit existiert nicht mehr.

 

Krise gleich Chance
Gottlieb und ich wohnen zu dieser Zeit in einem renovierten alten Bauernhaus in Sottens, einem Bauerndörfchen inmitten fruchtbarer Felder und Wiesen, nicht weit von Lausanne entfernt, wohin wir beide täglich zur Arbeit fahren.

Der Anruf aus Näfels, meinem Heimatort, hat mich völlig durcheinander gebracht. An diesem Tag habe ich frei, aber ich bringe es nicht über mich, heim zu meinen Eltern zu fahren. Ich setze mich an unseren alten Glarner Schiefertisch und male in den folgenden zwei Tagen wie besessen mein erstes kleines Gemälde in pointillistischer Manier. Dies ist offensichtlich ein unbewusster Versuch,  Ordnung in das Chaos meiner Gefühle zu bringen.

Durch das mächtige Bogenfenster unserer geräumigen Bauernstube blicke ich auf den Dorfplatz, wo Kühe jeden Tag zweimal gemächlich vorbeitraben und ihre schweren Treicheln (Glocken) im Gleichtakt mit ihren großen Eutern schwingen. Morgens kommen sie von den Ställen und traben auf die Wiesen und abends kehren sie in die Ställe zurück. Vor unserem Haus nimmt die Welt ihren gewohnten Gang. Ich bin derart benommen, dass ich mich an diesem friedlichen Schauspiel nicht freuen kann.

Gottlieb arbeitet als chef-de-clinique an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Lausanne. Als er am zweiten Abend nach der Schreckensnachricht mein Miniaturgemälde entdeckt, schaut er dieses lange an, nennt es FEUERVOGEL und sagt dann recht dezidiert, ich solle meinen Job als Ergotherapeutin in der psychiatrischen Tagesklinik in Lausanne sogleich aufgeben und mich voll und ganz der Kunst widmen. Diesen Rat befolge ich.

Krise wird von vielen Menschen vorwiegend als Bedrohung oder Katastrophe erlebt. Doch der chinesische Taoismus unterstreicht, dass Krise eine Chance ist, da sie festgefügte Strukturen zum Schwanken oder zum Einsturz bringt. Damit schafft sie die Möglichkeit für neue Gestaltung.

Seit jenem Tag haben Gottlieb und seine Mutter mich mit regem Interesse und großer Freude  auf meinem neuen Weg begleitet und,  wenn es nötig war, auch inspiriert und motiviert, Phasen der Stagnation zu überwinden.

Es gibt Augenblicke in einem Leben, da benötigen wir von Menschen, denen wir voll vertrauen, einen dezidierten Ratschlag, der uns die Kraft und den Mut gibt, unseren Lebensentwurf grundlegend zu erneuern.

 

Ecole des Beaux Arts in Lausanne
In den Wochen nach der Feuersbrunst bereite ich ein Portfolio für die Aufnahme in die Ecole des Beaux Arts vor. Ich bestehe das Eintrittsexamen und werde aufgenommen. Schon nach zwei Wochen Unterricht verlasse ich diese Institution. Weshalb? Weil mich die postpubertären Mitstudenten irritieren, die sich in endlosen anti-autoritären Debatten verlieren anstatt zu arbeiten. Diese Stürme im Wasserglas scheinen mir in diesem Kontext sinnlos, eine Verschwendung von Zeit und Energie, obwohl ich ihre Ursprünge durchaus begreife.

Wir befinden uns in der Zeit der anti-autoritären Revolte gegen die gesellschaftlichen Institutionen und das Establishment. Die Wellen, welche die Studentenrevolte im Herbst 1964 an der Berkeley University in Kalifornien geschlagen haben, haben im Mai 1968 Frankreich erreicht und nun auch Lausanne.  Der Zeitgeist verwirrt viele Köpfe. In den Debatten dominieren die Behauptungen apodiktischer Marxisten und Psychoanalytiker. Man zitiert Bakunin, Marx, Lenin, Lukács, Freud und Reich. Doch die großartigen Leistungen kreativer Geister – wie zum Beispiel jene von Giotto, Donatello, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Cézanne, Monet, Klee, Kandinsky – werden als antiquierte bürgerliche Geschmacksverirrungen abgetan.

Das ist eine verkehrte Welt! Wie soll man kreativ sein in einer Kunstschule, in der Lehrer und Schüler die Zeit mit dem Zitieren von vermeintlichen Autoritäten verplempern, statt Leitbildern zu folgen, die Persönlichkeitsentwicklung und Kreativität fördern?

 

Ein neues Leben als freischaffende Künstlerin
Nachdem ich diesem leeren Schleuderkessel entronnen bin, fühle ich mich wieder frei. Freunde und Künstler helfen mir mit Rat und Tat auf meinem neuen Pfad. Sie sind der Meinung, dass man in der Kunstschule so oder so nicht kreatives Schaffen erlernt, sondern nur die gängigen Techniken, die nicht selten zum uninspirierten Nachäffen von irgendwelchen Vorbildern verleiten. Der eigene Weg sei allemal der Beste. Zu diesen Freunden gehören u.a. Kurt von Ballmoos, Albert E. Yersin, Werner Zurbriggen und H.R. Giger.

Bald werde ich auf Grund meiner neuen Arbeiten als Mitglied in der GSAMBA (Schweizerische Vereinigung der Maler, Bildhauer und Architekten) aufgenommen und nehme fortan an ihren Treffen und Gruppenausstellungen teil.

Soweit zum offiziellen Start von Phase l. Der inoffizielle Start fand bereits mit dem FEUERVOGEL statt.